Zum Nachdenken

von A. Disch

 

Ja, das hätte ich mir in meinem Leben auch nicht vorstellen können, dass ich plötzlich im gleichen Boot sitze wie so viele Angehörige von Vermissten, die auch bis heute nicht gefunden wurden. Da entsteht eine für Außenstehende oft nicht nachzuvollziehende Ohnmacht und Traurigkeit, mit der man wahrscheinlich, je nachdem wie nah man seinem geliebten Partner oder Angehörigen gestanden hat, nicht fertig wird. Gleiches gilt für die vielen anderen Menschen, die ihre Lieben auf tragische Weise verloren haben, nur mit dem einzigen und entscheidenden Unterschied, sie haben bzw. hatten die Möglichkeit, sich zu verabschieden.

Diese quälende, ständige Ungewissheit, die Tage, Wochen, Monate, Jahre, vielleicht auch für immer anhalten kann, bleibt leider bei den Angehörigen von Vermissten bestehen. Immer wiederkehrende Fragen wie:

"Ist derjenige in Gefahr?"„Was kann ich noch tun?“- „Habe ich was übersehen?“- „Wie gehe ich in Zukunft damit um?“- oder mache ich mir Vorwürfe?

Vielleicht nicht direkt, aber dass man dem geliebten Partner oder Angehörigen an diesem Tag nicht helfen konnte, sitzt sehr tief.

Hinzu kommen dann noch eventuell von Außenstehenden und in vielen Fachbüchern vorkommende, vielleicht gut gemeinte Ratschläge wie:

 

„Du solltest vielleicht mal zum Psychologen gehen oder eine Therapie machen“,   

„Irgendwann solltest du darüber hinwegkommen“ oder

Du musst mal wieder auf die Beine kommen und versuchen los zu lassen“.

 

Du solltest, du musst..! Wir „müssen“ gar nichts, und auch wie lange wir trauern bestimmen letztendlich wir selbst.

Und was sollen denn bitte Angehörige von Vermissten „loslassen“?

 

Das Wichtigste ist doch die Hoffnung, auch wenn das manchmal vielleicht nicht realistisch erscheint, aber es gäbe nichts Schöneres, als das Gefühl zu haben, der vermisste Partner oder Angehörige lebt noch und es geht ihm gut!

 

Zusätzlich in der schwierigen Anfangsphase kommen dann tägliche Aufgaben und Verbindlichkeiten, die erledigt werden müssten, die manch einen, der nicht unbedingt pragmatisch veranlagt ist, zur Verzweiflung bringen kann. Da wird versucht, soweit man die Möglichkeit dazu hat, sich mit Ratgebern oder im Internet auseinander zu setzen, um Informationen zu bekommen wie:

 

„Was muss ich alles veranlassen bzw. beantragen…?“

 

Wer dann meint, es gäbe eine staatliche zentrale Anlaufstelle für Vermisste, in der alle Fäden zusammen laufen und somit vielleicht auch die Möglichkeit besteht, alle immer wiederkehrenden Fragen, beantwortet zu bekommen, der irrt sich.

Leider ist es anscheinend bis dato nicht gelungen, so eine zentrale Anlaufstelle für Vermisste, an die man sich auch telefonisch wenden kann, einzurichten.

Auf diese Problematik macht auch schon seit über 20 Jahren der Publizist und Schriftsteller Peter Jamin aufmerksam. Siehe website:

Vermisstenhilfe Peter Jamin

 

Wir haben ja nicht mal eben ein paar hundert Vermisste sondern tausende.

Sicherlich, wenn man nach den Statistiken geht, heißt es, die meisten Fälle werden gelöst, aber es bleiben dann immer noch 3% Langzeitvermisste.

Im Grunde genommen sind die meisten Behörden bei dem Wort „Vermisst“ überfordert, da bedarf es dringend einer Abhilfe, die aber auch nur geschaffen werden kann, wenn die Öffentlichkeit mehr dazu auffordert.

Wer hat schon den Nerv, am Anfang „x“ Formulare auszufüllen? Oder versuchen Sie doch mal, einen Anwalt für Vermisste zu bekommen, weder bei der Bundesanwaltskammer noch bei einem renommierten Versicherungsunternehmen in Sachen Rechtschutz konnte man mir einen Anwalt nennen, der sich mit dem Thema „Vermisst“ auskennt und vielleicht wichtige Tipps oder Verhaltensweisen in punkto Versicherung, Rente usw. geben konnte. Eigentlich schon fast eine Marktlücke!

Auch die Exekutivorgane haben keinen „Leitfaden für Angehörige“, was auch nicht  unbedingt zu ihren Aufgaben gehört. Es gibt natürlich viele Dokumente zu dem Thema im Internet zu finden, nur wer gräbt sich in seinem momentanen Schmerz oder besser gesagt paralysierten Zustand da durch?

Hier besteht meiner Meinung nach von staatlicher Seite aus dringend Handlungsbedarf in Sachen staatlicher Hilfseinrichtungen und kompetenter Ansprechpartner für Angehörige. Durchaus gibt es Anlaufstellen für Betroffene, was psychologische Belange und Gruppentherapien angeht, aber reicht das angesichts der steigenden Zahlen?

Für Steuersünder gibt man ja auch im Endeffekt Millionen aus, aber da kommt natürlich was zurück.

In der Flüchtlingspolitik heißt es, was auch vorbildlich ist: „Wir schaffen das.“

Warum also brauchen wir so lange, um auch bei diesem Thema endlich Fakten zu schaffen, um Angehörigen in dieser schwierigen Situation professionell zu helfen, - oder ist es wieder mal das berühmte Ampelprinzip: “Wir warten mal ab, wie oft noch an der Kreuzung einer überfahren werden muss, bis eine Ampel aufgestellt wird!“

 

Absolut lobenswert sind wie immer die vielen privaten freiwilligen Helfer und auch durch Spenden finanzierte Hilfsinstitutionen. Die können aber auch nicht immer alles stemmen.

Man will ja nicht alles schlecht reden, denn gut und auch sehr wichtig funktioniert mittlerweile für vermisste Kinder das in den USA 1996 entstandene AMBER Alert System, das auch nach „langen Jahren“ europaweit Einzug gehalten hat.

 

Vielleicht gibt es ja in absehbarer Zeit auch für vermisste Erwachsene von staatlicher Seite aus ein ähnliches System, nicht nur für die Opfer, sondern auch ein strukturiertes Hilfesystem für die Angehörigen. Es wäre wünschenswert.

 

Hochachtungsvoll

 

Armin Disch